Verena Schmalz

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"Geteiltes Leben – wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?"

1978 geboren und aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt. 

Und auch wenn es diesen Stadtnamen inzwischen gar nicht mehr gibt, wird er immer in meinem Ausweis bzw. meiner Geburtsurkunde stehen. Darauf bin ich ein bisschen stolz … Ich habe mich nie für meine Herkunft geschämt - im Gegenteil. Ich spreche noch heute sehr gern und offen darüber. Danke für die Blogparade liebe Sylvia.

Allerdings habe ich mir in letzter Zeit oft gedacht, dass wenn es die DDR heute noch gäbe, ich wahrscheinlich im Gefängnis sitzen würde, weil ich gern gegen den Strom schwimme und das ja damals nicht wirklich gewünscht war. 

Triggerwarnung - ich nutze gern die Worte Ossi und Wessi und das ohne irgendwelche Wertung oder Hintergedanken, sondern einzig und allein, um die Herkunft geografisch zu unterscheiden. Keines der beiden Wörter ist besser oder schlechter.

Was hat mich geprägt?

Als Scheidungskind mit einer alleinerziehenden Mutter wurde man in der DDR gut aufgefangen. Allerdings zum Leiden der Kinder - das ist etwas, dass mir erst in letzter Zeit so wirklich richtig (körperlich) bewusst geworden ist. Ich war immer begeistert davon, dass die Frauen in der DDR so schnell wieder arbeiten konnten und es ein so gutes Netzwerk gab. Das hatte aber zur Folge, dass ich mit 3 Monaten in der Kinderkrippe gelandet bin. Und nach allem, was ich inzwischen über die kindliche Entwicklung und Beziehungen weiß, war dies das denkbar schlechteste für mich als Baby. Weil zwischen 20 anderen schreienden Babys wurden meine Bedürfnisse sicher nicht in dem Moment erfüllt, in dem ich (und mein Körper) es gebraucht hätte. Wie gesagt, die Aufarbeitung dieses Kindheitstraumas hält nach wie vor an … 

Die Wende - viel Überforderung

Ich weiß gar nicht mehr, wo ich am Tag der Maueröffnung (9.11.1989) war und ob ich es live im Fernsehen angeschaut habe. Vielleicht habe ich nur die Bilder im Nachhinein so oft gesehen, dass ich glaube, dass ich es in dem Moment gesehen habe. Keine Ahnung … ist aber auch nicht so wichtig. Ich war zu dieser Zeit 11 Jahre alt

Ich kann mich aber noch sehr gut an unseren ersten Besuch in Westberlin erinnern, bei dem ich mir von meinen 100 DM Begrüßungsgeld ein Radio gekauft habe. Bei meiner Schwester war es eine Barbie (sie ist 3 ½ jünger als ich) und bei meiner Mutti kann ich mich gar nicht erinnern, was sie sich als Erstes gekauft hat. Im Nachhinein hatte das Begrüßungsgeld und auch viele Vorgänge aus dieser Zeit einen eher bitteren Beigeschmack für mich. 

Ich kann mich auch noch sehr gut an meine Überforderung mit dem Überangebot im Supermarkt oder Kaufhaus erinnern. 

Plötzlich gab es von allem nicht mehr nur eines und wenn es aus war, dann war es aus, sondern es gab 20 Marken vom selben Produkt und ich stand vor den überfüllten Regalen, wie der Ochs vor dem Berg und wusste gar nicht, was ich denn nehmen sollte. Da war es zu DDR-Zeiten auf jeden Fall leichter, auch wenn das mit Verzicht und oft auch Warten verbunden war. Wir haben damals wirklich 7 Jahre auf unser Auto gewartet. Ich habe mich damals vom Kapitalismus/ Überangebot regelrecht erschlagen gefühlt. 

In Pandemiezeiten waren die Regale endlich mal wieder ein bisschen leerer, aufgrund von Lieferschwierigkeiten. Das habe ich als Erleichterung empfunden, denn dieses ständige Überangebot, die Verschwendung/ Wegewerfen von Essen und volle Regale bis Ladenschluss empfinde ich nicht als nachhaltig. 

Was habe ich am Ende der DDR verloren?

Den Sport (Leichtathletik) und die Wettkämpfe - zu DDR Zeiten war das Sportangebot ein (kostenloser) Teil des Alltags - meist innerhalb der Schule oder der Nachmittagsbetreuung. Nach der Wende musste man in einen Verein und Geld dafür bezahlen, dass meine Mutti damals nicht hatte. Und so fiel (gefühlt von einem Tag auf den anderen) ein sehr wichtiger Teil meines Lebens weg. Das war sehr dramatisch für mich. Das ist aber gefühlt das Einzige, dass ich wirklich verloren habe. 

Ansonsten empfinde ich die Wende definitiv als Lifestyle-Update, auch wenn es anfangs nicht immer leicht war. 


Was habe ich am Ende der DDR gewonnen?

Meine Freiheit - reisen zu können, wohin ich möchte. Ich hätte, einige Jahre später, niemals mein Auslandsjahr in den USA machen können, wenn die DDR weiter existiert hätte. Dann hätte ich vielleicht nach Polen, Russland oder in die CSSR reisen können, aber niemals über den Ozean ins vermeintliche Feindesland. 

Sehr schnell kam zutage, wie korrupt dieses gesamte System über all die Jahre gewesen war und da war ich heilfroh, dass das nun ein Ende hatte. Ich kann mich noch gut an eine Dokumentation über die Politiker-Häuser in Berlin Wandlitz erinnern, in denen deren goldene Badewannen gezeigt wurden. Und dem gegenüber viele alleinerziehende Mütter (wie meine eigene), die nicht besonders viel zum Leben hatten. In dem Staat, der uns allen immer Gleichheit vorgespielt hat, gab es also extreme Unterschiede und das hat mich im Nachhinein sehr wütend gemacht. “Live what you preach.” ist bis heute ein wichtiges Motto für mich. 


Die Berliner Mauer

Strahlt für mich seit jeher eine große Faszination aus … und so auch alles, was mit ihr verbunden ist.

Als Kind war ich sehr oft in Ost-Berlin - habe sie aber nie bewusst wahrgenommen. Wir sind oft unter den Linden und beim Brandenburger Tor gewesen - ich kann mich aber nicht erinnern, jemals eine Mauer gesehen zu haben. In unserer Familie wurde auch nicht über sowas gesprochen, nachdem ein Onkel ein hoher Offizier in der NVA (Nationalen Volksarmee) war. Wir hatten keinerlei Verbindungen zum Westen - außer einem fernen Cousin meiner Mutter, den ich bis zu ihrer Beerdigung dieses Jahr gar nicht kannte - und somit keine Berührungspunkte. 

Nach der Wende habe ich sehr viele Filme, Dokumentationen und Ausstellungen über diese Zeit gesehen und alles in mir ausgesogen. Orte, wie die Friedrichstraße oder der Tränenpalast, Checkpoint-Charlie und andere habe ich mir angesehen. Ich habe auch viele Bücher, zum Beispiel über Zwangsadoptionen in der DDR, oder Fluchtgeschichten gelesen. 

So war ich zum Beispiel auch im Nordbahnhof in Berlin und habe die Ausstellung über die Geisterbahnhöfe angesehen. Die Vorstellung, dass ich als Kind unter den Linden über diese Geisterbahnhöfe spaziert bin und unter mir die Westberliner durch die DDR fuhren und die Soldaten mit Maschinengewehren am Bahnsteig standen, war grausig. Auch die vielen verschiedenen Fluchtgeschichten üben eine große Faszination auf mich aus. Es sind so viele Menschen gestorben, weil sie frei sein wollten. Eine schlimme Vorstellung, dass das alles noch gar nicht so lange her ist. 

“Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen.” ein Satz, der mir und vielen anderen Ossis ein Leben lang im Gedächtnis bleiben wird, denn es hat das Leben von uns allen sehr geprägt. 

Ich erinnere mich noch wie heute, wie ich beim Nordbahnhof auf einem Stein saß und mir die Nähe der ehemaligen Mauer (teils noch die alten Steine, teils Stäbe) die Tränen in die Augen getrieben hat, denn es ist und war für mich unvorstellbar, wie so etwas passieren konnte. Auf einmal läuft ein Junge wie selbstverständlich zwischen diesen Stäben hindurch und da war es um meine Emotionen geschehen. Die Tränen flossen und ich war voller Dankbarkeit, dass eben nun die Mauer weg ist bzw. von ihr keine Gefahr mehr ausgeht.

Spielt es in meinem Alltag eine Rolle, dass ich in der DDR geboren bin?

JEIN - aber wie oben schon erwähnt, spreche ich sehr gern darüber. Immer wenn das Thema im Gespräch darauf kommt, kann ich mich kaum bremsen. Es hat mich geprägt in meinem Sein und in einer wichtigen Zeit meines Lebens (von 0 bis 7 Jahre) und somit ist es indirekt immer ein Teil von mir und somit meines Alltags. 

So habe ich hier im Norden einige (westdeutsche) Auswanderer:innen getroffen und habe ich mit ihnen immer mal wieder darüber gesprochen. In dem Fall natürlich aus verschiedenen Perspektiven, was sehr spannend ist.

Wenn ich Ossis treffe, dann spüre ich sofort eine gewisse Verbundenheit. Diese gemeinsame Geschichte macht einen Unterschied. Das heißt nicht, dass ich mit jedem oder jeder immer sofort befreundet sein muss, aber es schafft eine Verbindung der anderen Art. Man spricht irgendwie dieselbe Sprache … 

Auch habe ich heute noch Phasen, in denen ich mir Filme oder Dokumentationen aus dieser Zeit anschaue. So habe ich z.B. den Dreiteiler “Der gleiche Himmel” schon mehrere Male angeschaut. Und auch “Good Bye Lenin” könnte ich mir sicher noch mal anschauen. 

Nicht ohne Grund gibt es schon viele Bücher über diese Zeit und diese Generationen. 

  • Paradis Ost

  • Dritte Generation Ost

  • uvm.

Das Trauma in mir

2020 - Ich erinnere mich noch sehr gut an die Anfangszeit der Corona-Pandemie

Obwohl ich mich als Kind in keinster Weise bewusst eingesperrt gefühlt habe, hat mir diese Zeit aber gezeigt, was an Traumata in mir steckt. Egal ob es die eigenen sind oder die von vergangenen Generationen. 

Ich hatte damals oft Zeiten, in denen ich kaum Luft bekommen habe. Mein Brustkorb hat sich eng und verspannt angefühlt. Ich habe mich eingesperrt gefühlt. Jemand anderer entscheidet gerade (wieder) darüber, was ICH darf und was nicht - wohin ich gehen darf oder eben nicht. Das war schrecklich für mich.

Was aus der alten Zeit ist mir heute noch wichtig?

Ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn - “Wir sind alle gleich.” - war ja einer der Leitsätze der DDR. 

In einer früheren Arbeitsstelle war ich im Betriebsrat, um die Bedingungen für die Angestellten zu verbessern. Als ich dann die Broschüre der Gewerkschaft mit Marx vorn drauf bekommen habe, habe ich geschmunzelt, denn ich bin ja in Karl-Marx-Stadt geboren und aufgewachsen. 

Ein Grund, warum ich heute in Norwegen lebe, ist der, dass hier die Gleichheit noch gelebt wird. Hier braucht es keine Frauenquote, weil die Diskrepanz zwischen Mann und Frau nicht so ausgeprägt ist. Hier gibt es auch kein Siezen (das haben wir ja nur in der deutschen Sprache) - das macht die Hierarchien flacher und das gefällt mir. Ich sage immer, ich bin die bessere Selbstständige (als Angestellte), aber mein jetziger Chef putzt genauso das Klo wie ich - und das gefällt mir. Alle sind per DU und viel mehr auf Augenhöhe. 

Letztens hat mich eine Freundin aus Mecklenburg hier auf den Lofoten besucht und hatte 3 Packungen Knusperflocken im Gepäck. Manchmal schmecken sie gar nicht so übermäßig lecker und ich habe mich auch schon zu oft daran überfressen, aber es ist einfach ein kleiner Teil meiner Vergangenheit. Ich nasche sie auch gerade, während ich diesen Artikel schreibe. Der erste Blogartikel seit längerer Zeit.

Es gibt so einige Dinge, die ich heut noch gern habe oder esse und meine Schwester hat mich schon einige Male gefragt, ob ich der DDR hinterhertrauere. Aber dem ist in keinster Weise so - wie ich oben ja auch schon beschrieben habe - aber diese kleinen Dinge und Rituale bringen mir für kurze Zeit meine Kindheit und die Erinnerungen daran zurück

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