Meine Schwäche - meine Superkraft!

 

Wann hören wir bitte auf immer von Schwächen zu sprechen. Ich erlebe so oft, dass viele Menschen im Laufe ihres Lebens und im Rahmen von Therapien diese vermeintlichen Schwächen als ihre größte Kraft erleben. Vielleicht fangen wir bei unseren Kindern damit an, damit sie später nicht von einer Therapiestunde zur nächsten laufen müssen.

Danke Vanessa, für dieses spannende Thema für eine Blogparade.

Was ist deine „Schwäche“?

Feinfühligkeit - Empathie

Ich persönlich würde mich nicht als hochsensibel bezeichnen, aber auf jeden Fall als feinfühlig und empathisch. Spätestens mit dem Wissen um mein Human Design hat sich das bestätigt, weil ich habe ein undefiniertes Emotionszentrum und das bedeutet, dass man die Emotionen des Gegenübers um ein Vielfaches mehr spürt und verstärkt.

Ich bin kein emotionaler Mensch, vor allem wenn ich mit mir allein bin. Da würde ich mich sogar als emotionslos bezeichnen. Wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, bin ich sehr empathisch und kann mich gut in mein Gegenüber hineinfühlen. Wenn mich etwas aufregt, dann entsteht das eher aus der Interaktion mit anderen heraus. Sobald ich allein bin, passiert eigentlich nicht viel und das war für mich die Erkenntnis meines Lebens, dass das es eben immer mit anderen zu tun hat.

Inzwischen merke ich sofort, wenn die Emotionen zu meinem Gegenüber gehören. Früher habe ich mir alles zu Herzen und auch persönlich genommen. Das passiert mir heute kaum noch. Eine sehr heilsame Erkenntnis, die mir schon viel Energie erspart hat. Ich spüre oft auch schon, wenn mein Gegenüber (emotional) definiert ist, weil ich es körperlich spüre. Meine Stimme verändert sich, klingt ganz anders und ich fühle mich ein bisschen gestresst. Nachdem ich aber inzwischen sehr gut unterscheiden kann, was meins ist und was von meinem Gegenüber kommt, kann ich mich besser abgrenzen. Ich kann mich in mein Gegenüber einfühlen, aber lasse mich nicht mitreißen und kann neutral bleiben. 

Immer noch erwische ich mich dabei, dass ich Konfrontationen aus dem Weg gehe und lieber immer Harmonie hätte. Nachdem aber 50 % der Menschen emotional definiert sind, wird das leider nicht funktionieren. Und ab und zu werde ich mit meinen Aussagen Menschen enttäuschen oder verärgern. Das kann ich nicht ändern. 


In welchen klassischen Situationen zeigt sich deine “Schwäche“ besonders?

Ich würde in diesem Fall das Wort Schwäche überhaupt nicht benutzen, denn es ist eine krasse Stärke, die Emotionen anderer zu spüren und beeinflussen zu können.

Wie oben schon beschrieben, zeigt es sich immer im Umgang mit anderen Menschen, vor allem mit denen, die dort definiert sind und ihre emotionalen Wellen haben. Die habe ich persönlich wie schon gesagt nicht. Es ist aber genau diese Empathie und die Feinfühligkeit für die Gefühle anderer, die meine Arbeit als Kinderphysiotherapeutin enorm verändert hat, weil ich bewusster bin für die möglichen Emotionen meines Gegenübers. 

Ich schmeiße nicht mehr nur mit irgendwelchen Ratschlägen um mich, sondern tauche ein in das Leben der Kinder und der Familien.  Ich versuche mich hineinzufühlen in die Menschen und spreche an, wenn ich Unsicherheit, Angst oder Ärger spüre. Dabei bleibe ich neutral und bin empathisch. Ich versuche nicht in den Emotionen steckenbleiben, sondern Lösungen für die Probleme zu finden.  

Es ist also in keinster Weise eine Schwäche, sondern eher eine Superkraft.


Wie siehst du dich selbst damit und wie reagieren deine Mitmenschen darauf?

Ich glaube, dass ich erst seit ich nicht mehr immer nach der hundertprozentigen Harmonie suche, meinen Frieden für mich gefunden habe. Mit einem offenen Emotionszentrum hätte ich am liebsten die ganze Zeit Harmonie und dass sich niemand streitet und bloß keiner laut wird, weil mich das in Stress versetzt. Aber inzwischen kann ich das aushalten und weiß, dass ich meist gar keinen Impact an diesen Gefühlen habe. 

Ich weiß inzwischen, dass ich das nicht jederzeit haben kann, denn die Menschen, die dort definiert sind, brauchen genau diese emotionalen Wellen. Sie fühlen sich jeden Tag anders - ich fühle mich jeden Tag gleich. Die Emotionen (wenn du definiert bist) entstehen in dir selbst, und haben oft gar keine Ursache im Außen. Ist jemand aber unreflektiert, dann sind immer alle im Außen schuld, wenn er oder sie sich schlecht fühlt. 

In unserer Gesellschaft ist es halt immer noch nicht erwünscht, emotional zu sein. Das beginnt schon bei Kindern. 

Lebe deine Emotionen - häng dir zu Hause einen Boxsack auf und lass dort jeden Tag deinen Emotionen freien Lauf. 

Aber um noch mal auf mich zurückzukommen - seit ich mein Gegenüber bewusster wahrnehme, hat sich meine Arbeit und auch der Umgang mit Freund:innen sehr verändert. Seit ich bewusster und reflektierter bin und eben auch einschätzen kann, wann etwas meins ist und was mein Gegenüber selber behalten/ behandeln darf. Man merkt dann auch schnell, was sind unsere gemeinsamen Themen und das macht Begegnungen viel produktiver. Denn es geht nicht um irgendwelche Befindlichkeiten, sondern um ein gemeinsames Ziel.


Wohlwollend betrachtet: in welchem Rahmen könnte die Schwäche auch eine Ressource sein, gebraucht werden oder einen positiven Effekt haben?

Ich weiß, ich wiederhole mich - es ist absolut keine Schwäche und hat eben sogar den positiven Effekt, dass ich mich viel besser in mein Gegenüber hineinversetzen kann und spüren kann, wenn irgendwas nicht passt und wenn irgendwas unangenehm ist.

Vor allem auch, wenn der oder diejenige sich nicht traut, es auszusprechen - spüre ich es aber schon. Oft spüre ich es schon bevor der oder diejenige es selbst merkt und kann 

Wenn ich unsympathisch oder nicht empathisch wäre, dann wäre ich wahrscheinlich auch keine gute Kinderphysiotherapeutin. So hat sich die Qualität meiner Arbeit in den letzten Jahren sehr verändert und ich kann sogar inzwischen über Zoom Meetings eine wunderbare Verbindung zu den Menschen aufbauen. Ich kann mich super gut und schnell an Situationen und Stimmungen meines Gegenübers anpassen. 


Inwiefern war sie in der Vergangenheit vielleicht schon mal deine absolute Superkraft?

Nachdem ich viele Dinge aus meiner frühen Kindheit noch gar nicht für mich erschlossen habe - was ja bekannterweise eine Schutzreaktion von unserem Körper ist, kann ich über die ganz frühe Kindheit gar nicht so viel sagen.

Ich versuche mir aber sehr oft vorzustellen, wie ich mich als Kind gefühlt haben muss eben genau mit dieser Gabe. In meiner Familie gibt es Menschen, die emotional definiert sind und genau diese Stimmungen habe ich ungefiltert aufgegriffen und meist zu meinen eigenen gemacht oder mich dafür verantwortlich gefühlt.  

Was hat das wohl mit mir als Kind gemacht. Ich spüre Dinge im Außen, habe da wahrscheinlich manchmal Dinge gesagt und getan, die nicht gewünscht waren, dann wurde man dafür zurechtgewiesen und konnte es als Kind gar nicht richtig einordnen. Sondern fühlt sich für die negativen Gefühle anderer verantwortlich und macht es zu den eigenen. Früher habe ich geglaubt, dass ich sehr emotional bin. Inzwischen weiß ich, dass das oft die Emotionen der anderer waren. 

Nachdem ich Kinder immer als sehr intuitiv wahrnehme, hätte ich vielleicht auf meine Superkraft schon viel früher zugreifen können, wenn sie in meiner Kindheit mehr gefördert worden wäre. Und eben nicht eine vermeintliche Schwäche gewesen wäre. Deshalb finde ich persönlich es auch wunderbar, wenn Eltern sich immer öfter mit dem Human Design ihrer Kinder beschäftigen. Weil Kinder leben eben noch, wer sie wirklich sind - ohne die Konditionierung unserer Gesellschaft und unserer Normen. 

Eine Gesellschaft, die bestimmt, was normal und richtig ist, verändert die Kinder sehr schnell und sie verlieren ihre Intuition. Das finde ich persönlich sehr schade, denn jedes Kind darf bitte so sein und bleiben wie es ist - vor allem, wenn es nicht den vermeintlichen Normen entspricht. 

Auf dass sich das Human Design weiter verbreitet und Talente gefördert werden, auch wenn er oder sie in anderen Bereichen vielleicht nicht zu 100 % passt. Es sollte immer um die Stärken gehen und nicht um die Schwächen. Das lebe ich in meinen Therapien mit den Kindern und habe sicher motiviertere Kinder, als wenn ich immer nur auf ihren Defiziten herumreiten würde.

Warum ist es gut, dass du diese Schwäche hast?

Meine Empathie und Feinfühligkeit liebe ich, auch wenn ich lernen durfte, damit umzugehen. Seit ich aber einordnen kann, welche Gefühle zu mir gehören und welche zu meinem Gegenüber ist es um einiges leichter geworden. Manchmal darf ich Dinge und Gefühle einfach nur zurückspiegeln. Im Sinne von: was macht dich gerade so wütend? Was denkst du dir gerade? Oder was willst du am liebsten jetzt gerade tun?

Ich kann dieser Spiegel sein und auch die Reflexionsfläche für mein Gegenüber, weil ich ein Bewusstsein dafür habe und neutral bleiben kann. Ich nehme Dinge nicht persönlich, die mir manchmal entgegenkommen, weil ich weiß, dass ich nicht die eigentliche Empfängerin bin. Mein Körper spürt regelrecht, was zu meinem Gegenüber gehört und diese Abgrenzung ist sehr gesund und wichtig, um eben selbst nicht krank zu werden oder sich in anderer Menschen Geschichten hineinziehen zu lassen. 

Gerade im Gesundheitsbereich finde ich, dass sich leider sehr viele nicht gut abgrenzen können und die Dinge, so wie ich das auch früher gemacht habe, mit nach Hause nehmen und dadurch dann auf Dauer auch krank werden, weil sie sich einfach Dinge auf ihre Schultern laden, die nichts mit ihnen persönlich zu tun haben. Deswegen ist eine gesunde Abgrenzung im Gesundheitsbereich eine sehr sehr sehr sehr wichtige Sache. 


Wer profitiert davon?

Wie schon gesagt profitieren vor allem die Eltern in der Therapie davon und ich denke auch, dass mein Umfeld und meine Begegnungen inzwischen ganz andere sind als vor Jahren.  Sie sind qualitativ viel hochwertiger als sie das noch vor Jahren waren, als ich noch nicht dieses Bewusstsein und diese Eigenreflexion hatte. 

So mache ich auch nicht Menschen im Außen für mein Scheitern oder Nicht-funktionieren verantwortlich, sondern sehe das als meine eigene Sache an. Es ist mein Leben - ich muss den Weg gehen und mit den Konsequenzen meiner Entscheidungen leben. 


Welche Botschaft oder Tipps möchtest du anderen Menschen mitgeben, die diese Schwäche ebenfalls haben oder aber sie an dir kritisieren?

Nachdem ich sehr davon überzeugt bin, dass man bei anderen immer das am meisten kritisiert, womit man selber das größte Thema hat und woran man eigentlich selber arbeiten dürfte, gehe ich inzwischen eher in die Selbstreflexion anstelle in die Konfrontation. 

Das Einzige, was ich persönlich schrecklich finde, ist, dass Hochsensibilität heutzutage immer noch wie eine Krankheit behandelt wird. Das ist meiner Meinung nach totaler Blödsinn. Wenn einem als Kind aber nicht gelehrt wird, dass alle Emotionen willkommen sind und gelebt werden dürfen, dass es keine guten und schlechten Emotionen gibt, dann tut man sich einfach ein Leben lang schwer damit. 

Im Human Design sind die meisten hochsensiblen Menschen sehr offen in ihrem Chart - haben also viele weiße Zentren und nehmen dort die Energie der anderen Menschen auf und verstärken sie. 

Eltern sollten selbstverständlicher ihren Kindern in kindgerechter Sprache in Entscheidungen und Lebensumstände einbeziehen/ mitnehmen. Wenn sich Eltern z.B. trennen, dann fühlt sich das Kind meist dafür verantwortlich. Du darfst deinem Kind immer wieder sagen, dass es keine Schuld an der Situation hat. Sag deinem Kind, wenn dich deine Emotionen übermannen und du Dinge sagst und tust, die du eigentlich gar nicht so meinst. 

Der berühmte Klaps auf den Po schwingt nur in der Luft, wenn du es in deiner Kindheit selbst erlebt hast. Und auch wenn inzwischen klar ist, dass man das nicht tut, passiert mehr als genug in vielen Familien. 

Dein Kind ist dein Spiegel und du darfst lernen, mit diesen Emotionen umzugehen. Was dich trifft, betrifft dich und wenn dich etwas triggert, dann darfst DU dir das anschauen, aber nicht dein Kind mit hineinziehen oder für dein Gefühl verantwortlich machen.

Wenn mir als Kind öfter kommuniziert worden wäre, dass ich eben nur ein Kind bin und somit nicht schuld an einer Situation, dann hätte ich nicht so viele Jahre gebraucht, um mich auf gesunde Art und Weise abzugrenzen. 

Leider scheint es in unserer Gesellschaft noch nicht vorgesehen, dass Kinder teilhaben dürfen, egal ob es um den Tod eines Menschen geht oder um die Trennung der Eltern. 

Ich würde mir sehr wünschen, dass Kinder mehr in diese Prozesse einbezogen werden und ihnen die Kompetenz zugesprochen wird, Situationen auf ihre Art und Weise zu verstehen und zu lösen. 


Bezeichnest du dich als hochsensibel? 

Schreib es mir gern in den Kommentaren … 

 
 
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