Physiotherapie ab 2022 in ganz Österreich gratis

 

Diese (teilweise falsche) Aussage kursiert zurzeit in ganz Österreich und stiftet viel Verwirrung und Unmut - vor allem unter den Therapeutinnen und Therapeuten. Es ist von einer flächendeckenden Versorgung die Rede und das entspricht in keinster Weise der Realität. 

Reaktionen unter dem Post in der Facebook-Gruppe Physiotherapie Österreich waren:

  • Ich war schon mal Kassentherapeutin und ich möchte nie wieder diese Akkordarbeit machen müssen für zu wenig Wertschätzung. Ich bleibe Wahltherapeutin.

  • ...same here…

  • 60 € die Stunde ist eine Aufwertung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe?

  • 60 € die Stunde eine Aufwertung? Das ist nicht euer Ernst… Ich frage mich, welcher Freiberufler sich dafür hergibt.

  • 60 Euro/Stunde sind eine Aufwertung? Da bleib ich lieber Wahltherapeut und erspare mir die zusätzliche bürokratische Arbeit mit der ÖGK….in jedem Hotel zahl ich für eine Stunde „Massage“ weit mehr als 60 euro…dafür habe ich nicht studiert und mach jede menge Fortbildungen….

  • Kassenvertrag ist viel Arbeit und wenig Lohn, alle Freiberuflichen werden früher oder später auch billiger werden müssen!

  • Wortwörtlich grad in den Nachrichten: Die ÖGK zahlt ab kommendem Jahr die Physiotherapie für alle Versicherten. Der Tarif wird mit 60€ pro Stunde mit allen Physiotherapeuten mit eigener Praxis festgesetzt. Wieso darf es solche Informationen geben, wenn das nicht stimmt?


Vertragstherapeutin vs. Wahltherapeutin

Als Vertragstherapeutin würde ich direkt mit der Krankenkasse verrechnen und für den Patienten oder die Patientin fallen keinerlei Kosten an. 

Bei mir als Wahltherapeutin wird die Rechnung zuerst selbst bezahlt und dann bekommt man einen Anteil von der Kasse zurück. Es bleiben immer Selbstkosten übrig - es sein denn, man hat eine Zusatzversicherung. Die übernehmen meist einen gewissen Betrag pro Jahr, sodass man dann keine Kosten mehr hat. 

Sehr ungleiche Verteilung innerhalb von Österreich

In Österreich gibt es zurzeit über 11.000 niedergelassene Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Davon hatten bisher 290 einen Kassenvertrag, sodass die Therapie für deren Patienten kostenfrei war. Alle anderen neben diesen 290 sind als Wahltherapeutin oder Wahltherapeut selbstständig (oder teilweise selbstständig) tätig, d.h., die Patienten müssen die Behandlung zuerst selbst bezahlen und bekommen dann einen Teil der Kosten von der Krankenkasse rückerstattet.⠀

Plätze für Kassentherapeut:innen pro Bundesland


Bisher gab es z.B. in der Steiermark keine einzige Kassentherapeutin oder Kassentherapeuten, weil einfach die Tarife viel zu gering waren und auch (nach dieser Änderung) noch sind. Von 9 Bundesländern hatten nur 5 Länder Vertragstherapeutinnen oder Therapeuten. 

Jetzt wird damit geworben, dass die Tarife angepasst wurden, und die Anzahl der Kassenverträge von 290 auf 590 angehoben werden soll. Dafür müssen aber erst mal 60 % der geplanten 590 Stellen besetzt werden und sich dafür Therapeutinnen oder Therapeuten finden, die diesen Bedingungen zustimmen.

Auch wenn diese 590 Vertragspartner zustande kommen sollten, gibt es noch über 10.000 Wahltherapeutinnen und Therapeuten, bei denen alles so bleibt wie bisher. Von einer flächendeckenden Versorgung kann also keineswegs die Rede sein. Die Schlagzeile in den Medien (Radio und Fernsehen) ist also sehr irreführend.

In Graz sind zurzeit 469 Therapeutinnen und Therapeuten als freiberuflich gemeldet und es gibt nur 6 Planstellen der Österreichischen Gesundheitskasse - 3 links des Murufers und 3 auf der rechten Seite. In Graz gibt es 469 freiberuflich tätige Physiotherapeut:innen - es hätte 6 Kassenstellen gegeben. Davon sind aber (Stand Nov. 2022) nur 2 besetzt. 

Nachteile des ÖGK-Vertrages

  • man muss die ÖGK fragen, wenn man in den Urlaub fahren möchte und (ab 2 Wochen) eine Vertretung finden

  • mehr Stunden Arbeit, weil niedrigere Tarife als bei Wahltherapeutinnen und Wahltherapeuten

  • Vorgaben und Richtlinien

  • Anfängerinnen verdienen gleich wie Menschen mit 25 Jahren Berufserfahrung (für die Anfänger natürlich ein Vorteil) 

  • Dokumentationszeit ist zwar eingerechnet, aber nur 2 Stunden pro Woche

  • alle Ausgaben kommen noch obendrauf (von Miete bis zum Desinfektionsmittel)

Vorteile des ÖGK-Vertrages

  • sicheres Einkommen

  • immer genug Patienten 

  • wahrscheinlich eine ellenlange Warteliste

  • die Tarife haben sich mit den letzten Verhandlungen verbessert

  • kürzere Wege für Patientinnen und Patienten (denn bisher waren es in den 4 Bundesländern nur Ambulatorien, die kostenlose Therapie anbieten)

Von welchen Zahlen sprechen wir hier

Ich würde als Vertragstherapeutin für 30min - 30 Euro, für 45min - 45 Euro und für 60min - 60 Euro erhalten. Davon muss ich noch alle Steuern und Versicherungen bezahlen. 

Ich müsste bei einer Vollzeitstelle mindestens 32 Stunden pro Woche arbeiten. Ich bin allerdings sehr zufrieden mit meinen 16 😉. 

Warum das für mich überhaupt nicht attraktiv ist

Ich werde nicht meine eigene Chefin, um mir dann wieder Vorschriften machen zu lassen.

Bei einem Vertrag müsste ich meinen Urlaub anmelden und wenn ich länger als zwei Wochen Urlaub machen möchte, dann muss ich einen Ersatz finden. Wenn ich 4-6 Wochen auf Urlaub bin, dann suche ich für meine Dauerpatient:innen auch eine Möglichkeit der Überbrückung. Das tue ich allerdings als Service und nicht, weil ich muss. Viele würden eh warten, bis der Urlaub wieder vorbei ist.

Ich bestimme also lieber selbst über meine Preise, meine Arbeitszeit und alles was sonst noch mit einer Selbstständigkeit einhergeht.

Was meine Kolleginnen dazu sagen

Für keine in meinem Umfeld ist das eine Option. Bei ein/ zwei kommt kurz die Angst auf, dass sie in Zukunft nicht mehr genügend Patient:innen haben könnten. Eine Angst, die meiner Meinung nach unberechtigt ist, wenn du gut bist, in dem, was du tust und deine Patient:innen das auch zu schätzen wissen. 

Appell an die Gesellschaft und ans Gesundheitsministerium

Gesundheit und vor allem auch Prävention (in allen Altersgruppen) sollte einen viel höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft haben. Die Therapie als solche darf einen höheren Stellenwert für die Menschen und die Politik haben. 

Diese Aktion bewirkt gerade das Gegenteil, denn eine der ersten Reaktionen war die Frage, ob die Wahltherapeutinnen und Therapeuten dann ihre Preise niedriger ansetzen sollen. NEIN, um Gottes willen! Sei es dir selbst wert, dass deine Zeit und dein Wissen einfach einen Wert haben. Rechne all deine Fortbildungskosten der letzten Jahre zusammen und dann schau mal, ob du dann immer noch deine Preise reduzieren willst. 

Was sind mögliche Reaktionen auf diesen Artikel?

Es gibt vielleicht Therapeutinnen, die sich jetzt denken: oh wie egoistisch und geldgeil ist die denn bitte? Beobachte dich selbst bei deinen Reaktionen… Was du in diesem Moment über mich denkst, sagt vielleicht mehr über dich und deine Einstellung zu Geld und Selbstwert aus, als über mich. 

Andere denken sich vielleicht, dass ich doch bitte an all die bedürftigen Patient:innen denken soll. Glaub mir, es ist mir bewusst, dass es immer Menschen geben wird, die sich Therapien bei mir nicht leisten können. Ich bin mir aber auch bewusst, dass ich nicht die ganze Welt retten kann. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich ein angenehmes Leben nach meinen Vorstellungen führen möchte. Auch, wenn ich einige damit vor den Kopf stoße. 

Dieses Risiko nehme ich in Kauf und ich nehme es bewusst in Kauf, weil ich weiß, dass es auch Menschen geben wird, die ich inspirieren kann, zum Nachdenken bringen kann, die meinem Beispiel folgen und für sich und ihr Können losgehen. 

Schreib mir gern deine Gedanken zu diesem Thema unter den Artikel!

 
 
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